Durch den Wegfall der sogenannten Doppelbesteuerung mit der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) wird Vehicle-to-Grid nicht nur technisch möglich, sondern wirtschaftlich endlich sinnvoll. Für den großflächigen Rollout der Technologie müssen nun Geschäftsmodelle, Kunden und Märkte gefunden werden.
Viele Abgeordnete waren gar nicht mehr anwesend und auch der Begriff „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts […]“ klingt etwas sperrig, aber das, was am vergangenen Donnerstag beschlossen wurde, hat das Potential zu einer kleinen Energierevolution. So können Batteriespeicher jetzt Grün- und Graustrom speichern, Batteriespeicher werden baurechtlich privilegiert und nicht zuletzt wurde der Weg für das sogenannte Vehicle-to-Grid freigemacht.
Ziel ist es, dass Fahrzeugbatterien bei Stromknappheit entladen werden können und so das Stromnetz stützen. Warum so etwas sinnvoll ist, verrät der Blick auf den Wandel im Energiesystem: Mit einem immer höheren Anteil erneuerbarer Energien entsteht zwar zu Zeiten starken Winds und hoher Sonneneinstrahlung ein Stromüberangebot, aber wenn beide nicht zur Verfügung stehen, herrscht Knappheit. Um dieses Problem zu lösen, brauchen wir Speicher – und viele davon: Wasserstoff, andere chemische Speicher und zum Teil Pumpspeicherkraftwerke gleichen Schwankungen über Wochen und Monate hinweg aus, während Lastverschiebungen und Batterien eher im Bereich von Stunden und Tagen agieren.
Dabei sind Fahrzeugbatterien ein attraktives Mittel: Viele Fahrzeugbesitzer dimensionieren die Reichweite des Fahrzeugs auf Langstreckenfahrten und können bei vollgeladenem Akku zumeist zwischen 300 und 500 Kilometern ohne Ladestopp fahren. In der Alltagsmobilität sind hingegen tägliche Fahrstrecken von etwa 40 Kilometern pro Tag die Regel und die übrige Kapazität bleibt ungenutzt. Genau hier setzt Vehicle-to-Grid an.
Wenn wir eine Beispielwoche im Sommer annehmen, dann ist die Photovoltaik-Erzeugung mittags sehr hoch und Strom kann günstig geladen werden. Am Abend und Morgen wiederum entsteht durch Kochen, Warmwasserbereitung, Gewerbe und Industrie eine Lastspitze, welche nicht durch die Erneuerbaren gedeckt werden kann. An der Strombörse ist der Strom während dieser Spitze üblicherweise 10 bis 20 Cent pro Kilowattstunde teurer. Legt man eine Fahrzeugkapazität von 80 Kilowattstunden zugrunde und nimmt an, dass hiervon die Hälfte für Handelsgeschäfte zur Verfügung steht, könnte das Fahrzeug so pro Tag 4 bis 8 Euro erwirtschaften. Über das Jahr hinweg können je nach Schätzung etwa 800 bis 1000 Euro verdient werden, nur indem der Akku des Elektrofahrzeugs für diese Dienstleistungen zur Verfügung gestellt wird.
Um ein solches System zu realisieren, müssen verschiedene Schritte unternommen werden, welche im Folgenden aufgezeigt werden:
- Die Fahrzeugladung muss durch ein Smart Meter vermessen werden. Zwar hat sich Deutschland hier lange schwer getan, aber seit Anfang 2025 ist hier Bewegung in die Sache gekommen und am Ende des dritten Quartals waren immerhin 16,4 Prozent der Haushalte, bei denen ein solches Gerät eingebaut werden soll, auch entsprechen ausgerüstet – Tendenz steigend.
2. Als nächsten Schritt braucht es Akteure, welche am Stromhandel teilnehmen und entsprechende Logiken aufbauen können. Hier gibt es mit The Mobility House, Octopus, Tibber, 1Komma5°, Eon und vielen weiteren mittlerweile ein gut funktionierendes Ökosystem.
3. Auf technischer Ebene wird eine bidirektionale Wallbox benötigt, welche den Strom ins Netz zurückspeisen kann. Zwar gibt es schon seit einigen Jahren entsprechende Geräte, aber die Kosten waren bisher für einen wirtschaftlichen Betrieb zu hoch. Seit diesem Jahr bieten aber beispielsweise BMW mit der Wallbox Professional oder auch Ambibox ausreichend günstige Geräte an. Kostenpunkt sind hier etwa 2000 Euro, welche sich bei etwa 800 bis 1000 Euro Einnahmen rein rechnerisch in maximal 2,5 Jahren amortisieren können.
Am vergangenen Donnerstag ist nun das letzte wichtige Puzzleteil hinzugefügt worden, denn bisher war ein solches Geschäftsmodell aus Steuergründen wirtschaftlich nicht rentabel. Während andere Speicher wie Großbatteriespeicher oder Pumpspeicherkraftwerke für wiedereingespeisten Strom keine Steuern und Umlagen bezahlen, mussten Fahrzeuge bisher je nach Region bis zu 20 Cent pro Kilowattstunde entrichten. Diese Steuern haben sämtliche Gewinne aus dem Stromhandel vernichtet.
Veranstaltungshinweis
Für eine funktionierende Stromversorgung ist es volkswirtschaftlich aber sehr attraktiv, wenn Speicherkapazitäten genutzt werden können, um günstigen erneuerbaren Strom zu Zeiten hoher Knappheit zur Verfügung stehen, da dadurch teure Reservekapazitäten vermieden werden können. Eben diese Steuern wurden am vergangenen Donnerstag abgeschafft. Die Strommengen werden dabei durch die sogenannte Abgrenzungsoption oder Pauschaloption bestimmt, wenn ein Elektroauto gemischt aus lokalem Grünstrom und Netzstrom geladen werden. Diese Regelung gilt übrigens auch für Photovoltaik-Heimspeicher, die in dieser Art betreiben werden.
Nachdem damit jetzt alle Bausteine zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage, wann Fahrzeuge großflächig Stromlücken in Deutschland schließen. Um das volle Potential der Technologie zu verwirklichen, müssen unter anderem noch die folgenden Dinge erreicht werden:
- Es müssen tragfähige Geschäftsmodelle und attraktive Kundenangebote erstellt werden. Zwar klingen bis zu 1000 Euro pro Jahr auf Einnahmenseite erst einmal attraktiv, aber davon müssen neben den Einnahmen für Endkunden zusätzlich die Kosten der Wallbox von 2000 Euro sowie die Prozesskosten aller Akteure im Ökosystem gedeckt werden.
- Der Smart-Meter-Rollout muss mit Hochdruck weitergeführt werden. Nur Haushalte, welche über ein solches Gerät verfügen, können sinnvoll mit dem Strommarkt interagieren.
- Kundengruppen müssen identifiziert werden. Die jüngsten Angebote von The Mobility House Energy mit Mobilize/Renault Group sowie Octopus Energy mit BYD konzentrierten sich auf Mittelklassefahrzeuge, aber mit Mercedes-Benz und BMW treiben auch zwei Premiummarken das Thema stark voran.
- Die Strommarktsegmente müssen identifiziert werden. Angesichts des starken Wachstums bei stationären Speichern müssen Marktsegmente gefunden werden, bei denen Fahrzeuge ihre speziellen Stärken ausspielen können. Tatsächlich sind die Kosten pro Kilowatt Leistung mittlerweile bei Großbatteriespeichern mit etwa 200 Euro pro Kilowatt mit denen einer 10 Kilowatt bidirektionalen Wallbox à 2000 Euro vergleichbar. Bei Fahrzeugen ist die Komplexität allerdings deutlich höher, da diese jederzeit fahrbereit sein müssen. Auf der anderen Seite können Fahrzeuge sehr gezielt Verteilnetze entlasten, was bisher jedoch nicht vergütet wird.
- Wünschenswert sind in Zukunft regulatorische Maßnahmen, welche die Netzdienlichkeit von bidirektionalem Laden sichergestellen. Bei niedrigen Durchdringungsraten – wie aktuell erwartbar – stellt sich ein positiver Effekt auf die Verteilnetze auch ohne gezielt netzdienliche Steuerung bereits ein. Ab etwa 40 Prozent Marktdurchdringung von gesteuertem und bidirektionalem Laden aber sind regulatorische Maßnahmen gegebenenfalls sinnvoll.
- Nicht zuletzt müssen Kunden über die neue Option aufgeklärt werden. Dies ist insbesondere mit Blick auf Batteriealterung relevant. Zwar konnte bereits gezeigt werden, dass die zusätzliche Batteriealterung durch Vehicle-to-Grid marginal ist, aber ein mögliches Restrisiko empfinden viele dennoch als problematisch.
Wie groß der Vehicle-to-Grid-Markt am Ende tatsächlich werden wird, ist aktuell kaum abschätzbar. Das Potential ist in jedem Fall riesig. Schon heute sind 115 Gigawattstunden in Fahrzeugen verbaut und diese Zahl wird mit zunehmender Anzahl an Elektroautos weiter wachsen. Für ein vollständig erneuerbares Energiesystem brauchen wir alle sinnvoll aktivierbaren Speicherkapazitäten. Elektrofahrzeuge sind ein wichtiger Puzzlestein in dieser Welt.
— Der Autor Christopher Hecht ist Senior Energy Trader – Storage and Flexibility bei Terra One und ist in der Vermarktung von Großbatteriespeichern aktiv. In seinen vorherigen Positionen bei The Mobility House, der RWTH Aachen und Smartlab Innovationsgesellschaft hat er sich mit der Interaktion von Elektrofahrzeugen mit dem Strommarkt und -netz beschäftigt und wurde hierfür unter anderem mit der Borchers Plakette ausgezeichnet. Christopher.Hecht@terra.one —
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