Elektromobilität als Massenprodukt und elektrifizierte Logistik waren die beiden großen Themen der diesjährigen Intercharge Network Conference in Berlin. Vielfach erklärtes Ziel der Industrie ist es dabei, die Elektromobiiltät für die breite Masse und auch weitere Anwendungen wie Lkws und den Lieferverkehr attraktiv zu machen. Wir berichten, welche Lösungen und Ansätze in Berlin diskutiert wurden.
Mit der Intercharge Network Conference (ICNC) in Berlin vergangene Woche und der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in München diese Woche finden gleich zwei große Events binnen kurzer Zeit statt. Bei diesen Veranstaltungen lassen sich aktuelle Trends und die Stimmung in der Branche gut ablesen.
Die ICNC stand dieses Mal unter dem Motto „Shaping Customer Experiences: Bridging the Gap to Mass EV Adoption“. Um diesem Massenmarkt begegnen zu können sind technologische Kinderkrankheiten nicht mehr zulässig. Während ein Technologie-Pionier der ersten Stunde vielleicht noch verzeihen kann, dass mal ein Ladevorgang nicht funktioniert oder die Leistung nicht ganz der gewünschten entspricht, ist dies für den Massenmarkt nicht mehr akzeptabel. Ein gutes Beispiel hierfür sind die vielen Hersteller, die in Gesprächen vor allem mit Zuverlässigkeit werben. Auch wurde mit Evailable einer Predictive Maintenance Lösung eine große Bühne geboten, um Probleme schon im voraus zu erkennen. Auch Monta konnte einen entsprechenden Assistenten präsentieren, welcher Fehler analysiert und aufbereitet.
Neben erhöhter Verfügbarkeit wirbt die Branche insbesondere mit einer besseren Customer Experience dank immer größer werdender Roamingnetze. Nicht zu vergessen ist allerdings, dass diese Interoperabilität nicht umsonst ist. Durch die (immer weiter!) wachsende Zahl von Serviceanbietern hinter einer Ladesäule erreichen Preise der EMSPs inzwischen fast schon die schmerzhafte Grenze von 1Euro pro Kilowattstunde. Wenn Softwareanbieter konstatieren, dass die E-Mobilität allein an einem PR-Problem leidet, weil immer noch zu viele Kunden glaubten, man würde keine Ladesäule finden, kann man sich nur wundern. Vielmehr scheint es das weiterhin intransparente Preisgefüge, das Autofahrer zurüschrecken lässt.
Ein zweites zentrales Thema waren Nutzfahrzeuge. Mit Elektrotrucker hat ein junges Unternehmen mit genau diesem Fokus dieses Jahr den Start-up-Award gewonnen. Gründer Tobias Wagner, der bereits mit seinem ersten Start-up ChargeX erfolgreich war, hat in den letzten Monaten als E-Truckfahrer eindrücklich bewiesen, dass es auch heute schon möglich ist, Waren rein elektrisch quer über den Kontinent zu transportieren. Aber auch andere Akteure wie Flexecharge oder der The Mobility House mit dem “Charge Pilot” bieten Produkte, um einen sicheren Betrieb von Fahrzeugflotten gewährleisten zu können.
September-Ausgabe mit Marktübersicht Wallboxen
Der Bereich Vernetzung und Interoperabilität muss hier zukünftig noch weiter optimiert werden, da Flotten- und Lademanagementsysteme verknüpft werden müssen. Hier setzt beispielsweise Fryte an und bietet vereinheitlichte Interfaces für Logistiker an. Im Zusammenhang mit dem Aufbau der nötigen Ladeinfrastruktur wird der Netzanschluss als eine der zentralen Herausforderungen benannt. Aber statt in Wehklagen über die mangelnde Geschwindigkeit von Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern zu versinken, weiß man sich selbst zu helfen. Der rasante Preisverfall von Batteriespeichern, vor allem aus China, machts möglich: Reihenweise benannten aufstrebende Ladepunktbetreiber für E-Lkws den Zubau von Großbatteriespeichern als Lösungsoption, um den hohen Leistungsbedarf auch ohne ausreichenden Netzanschluss abdecken zu können. Wie einfach sich dieser Ansatz in der Realität umsetzen lässt, wird sich zeigen.
Ein Thema, welches noch nicht im Massenmarkt angekommen ist, ist das bidirektionale Laden von Elektroautos. Die auch als Vehicle-to-Grid bezeichnete Technologie wurde an der Tech-Stage demonstriert, weil ein Ford Explorer in Kombination mit einer Ambibox bidirektionalen Ladestation und einem Energiemanagementsystems die Bühne „Tech-Stage“ mit Strom versorgten.Die IAA sowie der Zeitraum davor wird von Herstellernfür Ankündigungen und Produktpräsentationen im technischen Bereich genutzt.BMW hat eine ganze Palette an Produktenrund um den neuen iX3 vorgestellt. So kann bei Kauf einer bidirektionalen Wallbox für knapp 2100 Euro bidirektional geladen werden. Zusammen mit Eon kann zusätzlich Vehicle-to–Grid erprobt werden, wovon sich der Hersteller bis zu 14.000 kostenlose Kilometer verspricht.Auch Mercedes kündigt für 2026 ein bidirektionales Produkt mit Partner The Mobility House an.Elli wiederumarbeitet mitCubos undAmbibox zusammen, um ab Dezember 2025 ein Pilotprojekt zum bidirektionalen Laden im Heimbereich anzubieten. Es tut sich also im Bereich des bidirektionalen Ladens viel und die Anzahl an Anbietern nimmt weiter zu.
Obgleich die technischen Lösungen vielerorts nur darauf warten beim Kunden zum Einsatz zu kommen, hat die Diskussion zwischen Marcus Fendt, Andreas Piepenbrink und Markus Hackmann auf der Hauptbühne gezeigt: In Deutschland wird der Anwendungsfall immer noch ausgebremst; nicht etwa, weil es verboten ist, Autos bidirektional zu laden, sondern weil der Mehrwert für Endkunden schlichtweg wirtschaftlich unattraktiv ist. Das liegt zum einen an den Mehrkosten der Hardware und zum anderen an den arbeitsbezogenen Stromnebenkosten, beispielsweise die Stromsteuer, die sowohl beim Laden des Autos als auch beim Entladen anfallen. Dies erscheint wie eine vertane Chance, könnten durch bidirektionales Laden nicht nur die Ladekosten jedes Einzelnen gesenkt werden, sondern auch die Gesamtkosten des Stromsystems durch die intelligente Flexibilisierung von Lade- und Entladevorgängen. Aus Branchenkreisen ist zu hören, dass wir uns auf die Verkündung weiterer Partnerschaften zwischen Fahrzeugherstellern, Ladestationsherstellern und Energieversorgern auf der IAA freuen dürfen. Beteiligt sind dabei auch einige Akteure, die bei der ICNC bereits dabei waren. Es geht also diese Woche munter dort weiter, wo es letzte Woche in Berlin endete. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Engagement auch bei den politischen Entscheidungsträgern ankommt.
Wie plant die Branche nun den Weg in den Massenmarkt? Eine verbesserte Qualität von Ladeinfrastruktur mit Blick auf Preistransparenz, Verfügbarkeit und Leistung sollen den Pkw-Markt weiter stützen während mit Nutzfahrzeugen ein weiteres Segment erschlossen werden soll. Durch eine verbesserte Integration in das Stromnetz über Vehicle-to-Grid und Lademanagement werden zusätzlich Hürden bei der Stromversorgung abgebaut und der Betrieb von elektrischen Fahrzeugen auch dort möglich sein, wo das Netz es ohne Ladeintelligenz nicht erlauben würde.
Über die Autoren
Christopher Hecht ist Stromhändler bei Terra One und Gastwissenschaftler an der RWTH Aachen und beschäftigt. Im Rahmen der jährlichen Vehicle-to-Grid and Smart Charging Conference sowie beruflichen Stationen bei bei The Mobility House und Smartlab Innovationsgesellschaft begleitet er die Elektromobilität seit langem.
Johanna Bronisch moderierte die Main Stage der ICNC. Hauptberuflich ist sie Consultant bei Neon mit Fokus auf dezentrale Flexibilität, Elektromobilität und Netzentgelte. Zuvor hat sie bei UnternehmerTUM den Bereich Energy Innovation neu aufgebaut und dabei umfangreiche Erfahrung in der Leitung von Multi-Client-Projekten und der Anwendung von Innovationsmethoden im Energiesektor gesammelt. Johanna Bronisch studierte Psychologie (B.Sc.) und Neurowissenschaften (M.Sc.) an der UCL und promovierte in Computational Neuroscience an der Humboldt Universität Berlin.
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