Der Smart-Meter-Rollout steckt fest. Ja, die Einbauzahlen gehen nach oben, es hagelt Ankündigungen (auch von uns) und es mangelt vielleicht noch nicht einmal an Willen, Geld und Geschick. Aber von einem schnellen, massentauglichen Rollout intelligenter Messsysteme sind wir in Deutschland nach wie vor weit entfernt.
Warum also das fehlende Tempo? Man verweist auf die Verteilnetzbetreiber, auf den regulatorischen Dschungel, auf fehlende Schnittstellen und die berühmten Excel-Listen, die mancherorts noch immer als Rückgrat des Messwesens dienen. Und weil Politik und Verwaltung die Lage als Reaktionsspiel begreifen, versuchen sie es mit Drohkulissen: Einbauquoten, Sanktionen, Eingriffe von oben. Doch ein solcher Rollout bleibt reaktiv – und reaktive Systeme werden selten schnell.
Dabei war die Idee eigentlich elegant: Wo der grundzuständige Messstellenbetreiber nicht liefert, schafft man mit dem wettbewerblichen Messstellenbetrieb eine marktliche Fluchtroute für alle, die nicht auf die Leute mit dem Faxgerät warten wollen. Kein Gebietsschutz wie im Stromnetz, kein natürliches Monopol. Konkurrenz als Beschleuniger, ein proaktiver Rollout aus Kundensicht, angetrieben von der Nachfrage nach intelligenten Lösungen, die echte Ersparnis bei den Stromkosten liefern. Das Prinzip “Wettbewerb“ liefert in funktionierenden Märkten täglich Vorteile, von zunehmender Geschwindigkeit bis zu niedrigeren Preisen. Nur nicht im Smart-Meter-Markt.
Technisch wäre der Weg frei: Wettbewerbliche Messstellenbetreiber installieren heute bereits tagtäglich Smart Meter. Die Kapazitäten für hunderte oder tausende Geräte pro Tag und Anbieter existieren vielerorts, nicht nur bei uns. Niemand muss in diesem Marktsegment dafür noch neue Gebäude, neue IT-Landschaften oder neue Organisationsstrukturen bauen. Und dennoch bleiben die Installationszahlen im niedrigen Bereich. Das Nadelöhr findet sich nicht mehr nur in Markteintrittsbarrieren, fehlenden Vorgaben oder mangelndem Wettbewerb – es liegt, sind wir ehrlich, auch auf der Nachfrageseite. Denn ohne spürbaren Anreiz kümmert sich der Haushalt nicht aktiv um ein Gerät, dessen Vorteile man ihm systematisch wegerklärt.
Der offensichtlichste Beleg dafür ist der Umgang mit Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes. Man hätte den dort festgeschriebenen pauschalen Netzentgeltvorteil (Modul 1) strikt an den tatsächlichen Einbau eines Smart Meters koppeln können. Dann hätte der Smart Meter endlich eine klare ökonomische Bedeutung für den Endverbraucher. Man hat sich dagegen entschieden – weil die Sorge dominierte, die grundzuständigen Messstellenbetreiber könnten den Einbau schlicht nicht schnell genug stemmen. Und als hätte man die Wirkungslosigkeit ökonomischer Anreize noch unterstreichen wollen, zahlt man den Rabatt auch ohne intelligentes Messsystem. Der Effekt ist logisch: Warum sollte ein Kunde aktiv werden, wenn er bereits für seine Passivität belohnt wird?
Das kommunikative Pendant zu dieser Schieflage ist der „Smart Meter Light“. Eine Nebelkerze, geboren aus der Angst, Kunden könnten vom echten Gerät abgeschreckt werden. Die Botschaft lautet sinngemäß: Wir wissen selbst nicht so recht, ob Smart Meter das Non-plus-ultra sind, deshalb bieten wir eine „Light“-Variante an, um niemanden zu überfordern. Dabei ist die Wahrheit schlicht: Zukunftssicherheit entsteht nur aus einer robusten, eichrechtskonformen, interoperablen Infrastruktur. Das Light-Gerät ist ein Placebo. Auch Leseköpfe sind ein Provisorium. Und Provisorien sind selten eine gute Lösung. Es tropft inzwischen so regelmäßig durchs zigfach geflickte Dach, dass im übertragenen Wohnzimmer das Wasser schon knöcheltief steht.
Dabei wäre gerade jetzt ein stabiler Marktimpuls nötig, denn die politische Kommunikation trägt zur Verwirrung bei. Wenn Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche plötzlich sinniert, der verpflichtende Rollout gehöre ausschließlich in die Hände der grundzuständigen Messstellenbetreiber, widerspricht sie nicht nur ihrem eigenen Haus, sondern stellt die Rolle der wettbewerblichen Messstellenbetreiber und damit die Marktwirtschaft faktisch infrage. Ausgerechnet die Marktteilnehmer, die den Rollout beschleunigen könnten, würden aus dem Spiel genommen – zugunsten jener, die nachweislich mit der Digitalisierung ringen. Mehr Vollbremsung für Marktkräfte ist kaum denkbar.
Der Smart-Meter-Rollout könnte längst ein Selbstläufer sein. Er wäre es, wenn man den Kunden endlich einen echten Grund gäbe, ihn selbst anzustoßen, anstatt ihn mit Placebos, Ersatzrabatten und Provisorien zu beruhigen. Marktkräfte wirken nur dann, wenn man sie wirken lässt. Wer glaubt, die Digitalisierung im Energiesektor könne sich entfalten, während man gleichzeitig die Messinfrastruktur in Watte packt, verwechselt Vorsicht mit Stillstand. Hätten wir darauf gewartet, dass die Deutsche Post die E-Mail einführt, würden wir bis heute mehrmals stündlich Briefmarken lecken. Beim Smart-Meter-Rollout sind wir gerade dabei, genau diesen Fehler zu machen.
Der nächste Anwendungsfall für Smart Meter steht übrigens bereits vor der Tür. Wenn neue Photovoltaik-Dachanlagen künftig nur noch mit verpflichtender Direktvermarktung und ohne EEG-Vergütung gebaut werden dürfen, wie bereits in energiewirtschaftlichen Fachkreisen andiskutiert, werden Stromhändler bereits im ersten Schritt auf eine funktionierende Mess- und Steuerinfrastruktur angewiesen sein. Ohne Smart Meter und Steuerbox keine Stromvermarktung kleiner Anlagen. Ein Netz aus Ausnahmen und Übergangslösungen wird an diesem Punkt nicht mehr tragfähig sein. Zugleich liegt hier die Chance, es von Anfang an richtig zu machen: Wenn kleine Photovoltaik-Anlagen mit robuster Smart-Meter-Infrastruktur ausgestattet werden – ohne Ausnahmen und Workarounds – führen wir Millionen von Kleinanlagen in den professionellen Stromhandel.
— Der Autor Jochen Schwill ist ein Energie-Enthusiast mit einem klaren Ziel: 100 Prozent erneuerbare Energien. Er war Mitgründer und Geschäftsführer von Next Kraftwerke, einem der erfolgreichsten deutschen Cleantech-Start-ups seit Beginn der Energiewende. Mit der Vision einer stärkeren Marktintegration der Erneuerbaren im Hinterkopf baute er eines der größten virtuellen Kraftwerke Europas auf. Nun konzentriert er sich mit seiner Neugründung Spot my Energy auf die Marktintegration von Prosumern. —
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