Double Materiality Assessment (DMA), also die doppelte Wesentlichkeitsanalyse, ist zu einem zentralen Konzept in ESG-Rahmenwerken zu Umweltaspekten, Sozialem und Unternehmensführung geworden – insbesondere im Rahmen jüngster Regulierungsinitiativen wie der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD). Obwohl die Umsetzung der DMA für viele Unternehmen erst in den kommenden Jahren verpflichtend wird, gibt es in der EU-Kommission bereits Diskussionen über eine Vereinfachung des Prozesses, um die Einführung zu erleichtern. Doch können sich Branchen wie Solarenergie und Energiespeicher solche Vereinfachungen überhaupt leisten?
Warum ist das Thema DMA gerade jetzt relevant?
Organisationen von öffentlichem Interesse (PIEs) in der EU, wie beispielsweise Finanzinstitute, sind bereits für ihre Finanzberichterstattung zum Geschäftsjahr 2024 zur DMA-Prüfung verpflichtet. Nach der im April 2025 von der EU verabschiedeten Stop-the-Clock-Richtlinie wird die Prüfung in den nächsten drei bis vier Jahren auch für andere große EU-Unternehmen, börsennotierte Klein- und Mittelständler (KMU) an regulierten EU-Märkten und Nicht-EU-Unternehmen verpflichtend. Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien in ganz Europa beginnen daher nun, ihre DMA-Strategien und -Prozesse zu formalisieren.
Was ist Double Materiality?
Double Materiality oder doppelte Wesentlichkeit erweitert das traditionelle Wesentlichkeitskonzept in der Finanzberichterstattung. Die traditionelle (einfache) Wesentlichkeit konzentriert sich darauf, wie sich ESG-Themen auf die finanzielle Leistung eines Unternehmens auswirken, während die doppelte Wesentlichkeit zwei Aspekte bewertet:
- Financial Materiality– Auswirkungen von ESG-Risiken und -Chancen auf das Unternehmen
- Impact Materiality– Auswirkungen des Unternehmens auf Gesellschaft und Umwelt
Diese duale Perspektive bietet eine ganzheitlichere Sicht auf Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen – was besonders für Branchen, die im Zentrum der Energiewende stehen, von Bedeutung ist.
DMA schließt die Lücke zwischen
- den Anforderungen von Investoren nach ESG-bezogenen Risikodaten,
- den Stakeholder-Erwartungen an die Unternehmensverantwortung,
- und der Dringlichkeit globaler Klima- und sozialer Herausforderungen.
Konkret ist DMA im EU Green Deal und der CSRD verankert, um sicherzustellen, dass Unternehmen nicht nur für ihre Risiken, sondern auch für ihre Rolle in Klima- und Gesellschaftsfragen Verantwortung übernehmen. Der Druck der Stakeholder hat ESG von einem „Nice-to-have“ zu einer zentralen Anforderung an das Verhalten und die Berichterstattung von Unternehmen gemacht.
Welche Risiken adressiert die DMA?
Double Materiality Assessment unterstützt Unternehmen bei der Bewältigung einer Vielzahl miteinander verbundener Risiken. Die Analyse erfasst strategische und operative Risiken wie Herausforderungen des Klimawandels (beispielsweise CO2-Bepreisung oder verlorene Vermögenswerte, sogenannte „stranded assets“), physische Bedrohungen durch Extremwetterereignisse sowie Schwachstellen in der Lieferkette im Zusammenhang mit Menschenrechten und Biodiversität. Sie mindert zudem Reputations- und Rechtsrisiken, da Stakeholder Unternehmen gegebenenfalls für negative Auswirkungen zur Rechenschaft ziehen könnten. Strengere ESG-Offenlegungsstandards machen Greenwashing zudem zu einem Haftungsrisiko.
Im Hinblick auf Compliance kann das Versäumnis, ordnungsgemäße Double Materiality Assessments im Rahmen von Vorschriften wie der CSRD durchzuführen, zu Nichteinhaltung, Geldstrafen sowie einem Vertrauensverlust der Stakeholder führen. Aus Investoren- und Marktsicht können unzureichende Offenlegungen möglicher Negativauswirkungen (Impact Materiality) den Zugang zu Kapital einschränken, da Investoren zunehmend ESG-Daten in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen.
Weiterhin befasst sich die Analyse auch mit systemischen und gesellschaftlichen Risiken, indem sie die Ausrichtung auf umfassendere Ziele wie dem Pariser Abkommen und die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung fördert und die Rolle der Unternehmen bei der Bewältigung globaler Probleme wie Klimawandel, Ungleichstellung und ökologischer Verschlechterung anerkennt.
Vereinfachte Prozesse vs. strikte Kontrolle für volle Transparenz
Obwohl DMA für viele Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien in Europa noch nicht verpflichtend ist, erwägt die EU-Kommission bereits, die Prozesse zur Einhaltung zukünftiger Vorgaben zu vereinfachen. Dies könnte beispielsweise durch die Reduzierung einiger jährlicher Bewertungs- und Berichtspflichten auf alle fünf Jahre geschehen. Doch können sich Branchen wie Photovoltaik und Energiespeicherung solche Vereinfachungen überhaupt leisten?
Bei uns bei Trinasolar sind wir davon überzeugt, dass die Branche für erneuerbaren Energien mit gutem Beispiel vorangehen sollte. Zu zeigen, dass Nachhaltigkeit und Rentabilität Hand in Hand gehen können, ist ein wichtiger Schritt. Aus diesem Grund haben wir uns für die Rückverfolgbarkeit von Hochrisikorohstoffen und für eine umfassende DMA entschieden – sowohl um unser Geschäft zu stärken als auch um das Vertrauen unserer Kunden und Stakeholder auszubauen.
Erfahrungen aus der DMA-Umsetzung im Jahr 2024
Wir legen seit 2012 umfassende ESG-Berichte vor und haben im Nachhaltigkeitsbericht für 2024 die erste Double Materiality Matrix formalisiert, die sich sowohl an den Standards der Shanghai Stock Exchange (SSE) und den künftigen EU-Standards orientiert. Die SSE-Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, die einer doppelten Double Materiality-Bewertung unterliegen, werden ab 2025 verpflichtend und wurden von uns für den aktuellen Report bereits freiwillig angewendet.
Bei der Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse folgten wir den Schritten „Identification – Assessment – Analysis – Confirmation“, wobei Erkenntnisse aus Stakeholder-Befragungen sowie internen Management-Interviews kombiniert wurden. Dieser Prozess ermöglichte die Bewertung und Bestätigung der Auswirkungen und der Bedeutung von Themen sowohl in Bezug auf die „finanzielle Wesentlichkeit“ (Financial Materiality) als auch auf die „Wesentlichkeit der Auswirkungen“ (Impact Materiality). Die Ergebnisse der Wesentlichkeitsbewertung wurden anschließend in den Enterprise Risk Management (ERM)-Prozess integriert.
Wir verteilten Fragebögen zur Wesentlichkeitsbewertung an interne und externe Stakeholder, führten Online-Umfragen durch und werteten 338 gültige Fragebögen aus. Das Topmanagement und die Managementvertreter der Geschäftsbereiche waren eingeladen, an Umfragen zur finanziellen Wesentlichkeitsbewertung teilzunehmen. Nach Diskussionen und Interviews mit externen Experten sowie der Unternehmensleitung wurden die Ergebnisse der Double Materiality-Analyse zu ESG-Themen in den ESG-Bericht zum Jahr 2024 integriert.
Die vollständige Double Materiality-Matrix sowie viele Beispiele für die Implementierung sind im aktuellen 2024 Sustainability Report enthalten. Sie stehen Partnern und Unternehmen zur Verfügung, die ihre Nachhaltigkeitsprogramme und die Einführung von DMA formalisieren wollen.
ÂWesentliche Aspekte und Erfolge
Zu den wichtigsten Säulen der 2024-Analyse gehören Compliance und Risikomanagement, nachhaltiges Ressourcenmanagement (green lifecycle), verantwortungsvolle Unternehmensführung und Arbeitsstandards sowie Innovationen im Bereich grüne Energie.
Zu den Beispielen für Ergebnisse, die wir im Rahmen des Programms bereits erzielen konnten, gehört der Fokus auf nachhaltiges Produktdesign mit Maßnahmen wie:
- Verringerung des ökologischen Fußabdrucks:Geringerer Energie- und Wasserverbrauch, weniger Abfall, höhere Effizienz mit weniger Material, PFAS-freie Solarmodule
- Rohstoffoptimierung: Reduzierung des Silber- und Bleigehalts, dünneres Glas, weniger Kunststoff durch den Ersatz von Rückseitenfolien mit Fokus auf Doppelglas
- Qualität und Zuverlässigkeit für einen längeren Produktlebenszyklus:Doppelglas-Struktur, klimatische Anpassung auf Systemebene, höhere Lebensdauerausbeute
- Kreislaufwirtschaft:Einfachere Materialtrennung, branchenführende Forschung und Entwicklung im Bereich geschlossener Recyclingkreisläufe
Als Reaktion auf eines der wichtigsten Nachhaltigkeitskriterien unserer Zeit, die Treibhausgasemissionen, unternehmen wir erhebliche Anstrengungen, um den CO2-Fußabdruck auch auf betrieblicher Ebene zu reduzieren. Die vor Ort erzeugte erneuerbare Energie beträgt mittlerweile 223.794 Megawattstunden. Eine Reduzierung der THG-Emissionsintensität (2024 gegenüber 2020) um 65,55 Prozent für Module und 36,44 Prozent für Zellen sowie die Reduzierung der integrierten Energieverbrauchsintensität für Zellen um 39,51 Prozent und für Module um 40,19 Prozent haben wir erreicht. Zudem sank die Wasserverbrauchsintensität um 86,85 Prozent für Zellen und 67,68 Prozent für Module.
Wir bei Trinasolar sind außerdem das erste Unternehmen in der Solarbranche, dessen Fabriken erfolgreich von einer unabhängigen Stelle nach dem Umwelt-, Sozial- und Governance-Standard (ESG) der Solar Stewardship Initiative (SSI) zertifiziert worden sind.
Wir sind überzeugt, dass DMA und entsprechende Vorgaben Hersteller dazu anregen, über die Einhaltung von Vorschriften und finanzielle Risiken hinauszudenken und eine strategische ESG-konforme Unternehmensentwicklung anzustreben. Eine entsprechende Analyse hilft ihnen, Vorschriften zu antizipieren, Auswirkungen zu reduzieren und nachhaltigere Geschäftsmodelle zu entwickeln.
— Die Autorin Pia Alina Lange ist als EU Public Affairs & Policy Director für Trinasolar in Brüssel tätig. Darüber hinaus gehört sie dem Vorstand der Solar Stewardship Initiative (SSI) an, engagiert sich aktiv in der Global Alliance for Sustainable Energy und ist Mitglied des Vorstands von SolarPower Europe. Zudem sitzt Lange im Vorstand des Global Solar Council. —
Die Blogbeiträge und Kommentare auf www.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion@pv-magazine.com.
Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.