Die Energiebranche verspielt ihr Vertrauen – pv magazine Deutschland


Die Stromsteuer wurde kürzlich zur ersten Zerreißprobe der neuen Regierung. Dass private Haushalte in der Energiepolitik wieder leer ausgehen, ist exemplarisch für die letzten Jahre. In diesem Fall hagelte es Kritik, auch von vielen Energieversorgern.

Es stimmt, die Deutschen zahlen zu viel für ihren Strom. 40 Cent pro Kilowattstunde waren es letztes Jahr im Schnitt. Und ja, die Stromsteuer ist tatsächlich zu hoch. Über den größten Preistreiber wurde in den letzten Tagen aber fast gar nicht gesprochen: die Margen der Versorger.

Wer ein ehrliches Interesse daran hat, Strom in Deutschland günstiger zu machen, kommt an einer unbequemen Wahrheit nicht vorbei. In Deutschland finanzieren treue, ahnungslose und benachteiligte Kunden die Gewinne der Energieanbieter.

In der Energiebranche ist das kein Geheimnis. Neukunden beziehen ihren Strom so günstig, dass die Marge ihrer Versorger weit im Negativen liegt. Der Rest bezahlt so viel, 60 oder 70 Cent pro Kilowattstunde sind keine Seltenheit, dass sie nicht nur für sich selbst, sondern auch die günstigen Stromverträge anderer Kunden und darüber hinaus eine satte Marge für ihren Versorger finanzieren.

Egal ob bei alteingesessenen Stadtwerken, Konzernen oder überregionalen Strom-Discountern: Diese Diskrepanz ist fest verankert im deutschen Strommarkt. Der Grund dafür ist einfach. Hierzulande kämpfen 1400 Anbieter um die wenigen wechselwilligen Haushalte. Dafür unterbieten sie sich mit Dumping-Tarifen, mit denen sie zunächst Verluste schreiben. Ab dem zweiten Jahr wird dieses Geld dann zurück verdient mit teils absurden Preiserhöhungen. “Anlocken & Abzocken” nennen Verbraucherschützer dieses Geschäftsmodell. “Normal” nennt es unsere Energiebranche. Es ist auf jeden Fall lukrativ – jedes Jahr fließen 5,5 Milliarden Euro zusätzlich in die Kassen der Versorger.

Die Kunden teilen sich so in zwei Gruppen: Die regelmäßigen Wechsler, die von den Lockangeboten profitieren, und die “loyalen” Kunden, die jedes Jahr mehr zahlen. Erstmal kein Problem, sagen viele: “Wer es sich nicht leisten kann, kann ja jederzeit wechseln”. Die Realität schaut anders aus. In den Wucher-Verträgen landen vor allem die Menschen, die eigentlich keinen Cent übrig haben für teuren Strom: Rentner, Alleinerziehende, Menschen mit geringem Einkommen. Es stimmt, man kann jederzeit wechseln. Aber wer sagt das der 80-jährigen Oma Erna, die sich ihr Leben lang nicht mit Strom beschäftigt hat? Wie findet sie überhaupt heraus, dass sie zu viel für ihren Strom zahlt? Von ihrem Energieversorger bestimmt nicht. Ganz im Gegenteil, solche Kunden sind gern gesehen – leicht verdientes Geld.

Genau deshalb gibt es in Deutschland auch keine Diskussion zu diesem Thema. Die Versorger sind gut vernetzt, mächtig und wollen ihre Margen schützen. Einige verdienen sich eine goldene Nase. Andere müssen mitspielen, weil sie ohne Lockangebote untergehen. Und währenddessen, still und leise, versagen wir als Branche. Wir lassen Menschen in die Energiearmut laufen. Und wir verspielen unser Vertrauen. Wer sich fragt, warum die Energiewende hier in Deutschland auf so viel Widerstand stößt, muss nur einen Blick auf die Beliebtheitswerte dieser Branche werfen.

5,5 Milliarden Euro könnten die Verbraucher jedes Jahr sparen in einem fairen Strommarkt. Das ist zufälligerweise ziemlich genau die Summe, die Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und seinem SPD-Finanzminister Lars Klingbeil fehlt, um ihre Stromsteuerpläne umzusetzen. Sie könnten diesen Markt aber auch ohne großes Budget verändern. Man stelle sich zum Beispiel eine Transparenzpflicht vor, bei der die Versorger ihre Bestandskunden jedes Jahr über ihre Neukundenpreise informieren müssten. “Das zahlst du heute. Das würdest du zahlen, wenn du Neukunde wärst.” Allein damit würden sie tausenden von Menschen in Deutschland helfen, insbesondere jenen, die eine Entlastung am dringendsten benötigen.

Wir dürfen nicht länger wegschauen. Wer seine Kunden wirklich gut und fair versorgen will, kann etwas verändern. Fairer Strom für alle ist keine Utopie – sondern eine Entscheidung, die wir gemeinsam treffen können.

— Der Autor Bastian Gierull ist CEO von Octopus Energy in Deutschland. Als ehemaliger Director of Product, Marketing und Technology begleitet er Octopus Energy seit dem deutschen Markteintritt im Jahr 2020. Vor seiner Zeit bei Octopus, war als Gründer in mehreren Start-ups aktiv und trieb als Marketing- und Produktmanager Unternehmen in der E-Commerce- und Telekommunikationsbranche voran. —

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