Lange Zeit begnügten sich Ingenieure damit, fixe Werte für Degradation und Nichtverfügbarkeit festzulegen – oft basierend auf Empfehlungen unabhängiger Gutachter (Independent Engineers, IEs) – und übergaben diese Annahmen anschließend an das Finanzteam. Doch damit sollte Schluss sein. Die Verantwortung für sämtliche Energiekennzahlen über die Lebensdauer einer Photovoltaik-Anlage gehört in die Hände derjenigen, die sie planen und auslegen.
Warum? Weil eine unzureichende Berücksichtigung von Degradation und Nichtverfügbarkeit zu einer Unterschätzung der Projekterträge und zu Schwierigkeiten bei der Finanzierung führen kann. Aktuelle Daten zeigen, dass ein pauschaler Degradationswert von 0,5 Prozent nicht mehr dem Stand der Technik entspricht – ebenso wie die Annahme konstanter Verfügbarkeitswerte, da diese stark von Jahr zu Jahr schwanken. Durch eine gezielte Nutzung der Daten im 8760-Energieprofil lassen sich nicht nur die Annahmen der IEs validieren, sondern oft auch bessere Produktionswerte erzielen – zum Vorteil des Finanzierungsmodells.
Degradation: DC statt AC betrachten
Moduldegradation ist ein bekanntes Phänomen: Der stetige Wechsel zwischen Aufheizung durch die Sonne und nächtlicher Abkühlung führt über die Jahre zu mikroskopischen Trennungen der Schichten innerhalb des Moduls. Interessanterweise sind Module meist der einzige Systembestandteil, der tatsächlich über die Zeit nennenswert an Leistung verliert. Verkabelung bleibt konstant, Gestellsysteme sind auf die gesamte Lebensdauer ausgelegt, Wechselrichter und Transformatoren haben feste Wirkungsgrade, die nicht abnehmen.
Laut einem Whitepaper von DNV liegt der realistischere lineare Degradationswert für Solarmodule bei 0,64 Prozent pro Jahr. Traditionell würde man diesen Wert auf den AC-Ausgang anwenden und dem Finanzteam das 8760-Profil entsprechend übergeben. Doch hier liegt der Denkfehler: Wenn die Degradation ausschließlich auf der DC-Seite auftritt, sollte sie auch dort abgebildet werden. Die gängige Praxis, die AC-Ausgangsleistung zu degradieren, unterschlägt die Wirkung des sogenannten Inverter-Clippings – also der Begrenzung der AC-Leistung durch den Wechselrichter bei einem hohen DC/AC-Verhältnis. Dadurch gehen rechnerisch Produktionsverluste verloren, die real gar nicht stattfinden.
Ein Vergleich der Produktionsdaten eines Sommertags im ersten (Y1) und zehnten Betriebsjahr (Y10) zeigt: Wird die Degradation auf der AC-Seite angewandt, ergibt sich ein deutlich niedrigerer Ertrag als bei korrekter Anwendung auf der DC-Seite mit anschließender Clipping-Berechnung. In einem exemplarischen Fall führt die AC-basierte Methode zu einem Ertragsverlust von 3,8 Prozent. Wer also ein 8760-Modell erstellt und dabei Clipping berücksichtigt, sollte auch die Degradation konsequent auf der DC-Seite modellieren. Wir bei Solesca haben diese Methodik direkt in die monatlichen Ertragsprognosen über die Lebensdauer integriert, sodass keine manuellen Berechnungen erforderlich sind.
Nichtverfügbarkeit: Ein dynamisches Phänomen
Ein weiteres oft vereinfachtes Thema ist die Verfügbarkeitsabschätzung. Zu häufig wird pauschal ein konstanter Nichtverfügbarkeitswert für die gesamte Projektlaufzeit angesetzt – unabhängig von Anlagengröße, Systemtyp oder Betriebsjahren. Dabei spielen gerade die ersten Betriebsjahre, Wechselrichtertauschzyklen und vorbeugende Wartung eine wesentliche Rolle.
Neue Empfehlungen von DNV, basierend auf einer Webinar-Auswertung und Daten von drei unabhängigen Anbietern, liefern ein differenzierteres Bild. Das Datenmodell umfasst zehn Jahre realer Betriebsdaten und bietet spezifische Empfehlungen für Anlagen über 10 Megawatt sowie für solche mit einachsiger Nachführung. Beispiel: Bei Anlagen bis 10 Megawatt zeigt sich im ersten Jahr eine erhöhte Nichtverfügbarkeit, bedingt durch Inbetriebnahme und Optimierungen. Danach folgt eine Stabilisierung – bis es ab Jahr 8 bis 9 wieder zu einer Steigerung kommt, da Wechselrichter ihr Lebensende erreichen und Ausfälle zunehmen.
Für Anlagen größer 10 Megawatt empfiehlt DNV pauschal einen Zuschlag von 0,5 Prozent Nichtverfügbarkeit, ebenso für einachsig nachgeführte Systeme aufgrund potenzieller Ausfallzeiten der Tracker.
Ein praxisnaher Umgang mit Nichtverfügbarkeit
Basierend auf diesen Erkenntnissen empfiehlt sich ein gestaffelter Ansatz: Das Basisprofil für bis 10 Megawatt dient als Ausgangspunkt, ergänzt um Zuschläge für größere oder SAT-Anlagen. Doch was passiert ab Jahr 11? Für Betriebsjahre jenseits des verfügbaren Datenraums muss mit plausiblen Annahmen gearbeitet werden. Es ist logisch, dass nach dem Austausch der Wechselrichter – etwa im Jahr 12 oder 25 – die Verfügbarkeit wieder ansteigt, bevor sie mit zunehmendem Alter erneut sinkt.
Wir bei Solesca setzt genau hier an: Nach dem angenommenen Wechselrichtertausch wird eine verbesserte Verfügbarkeit angenommen, die sich über die Laufzeit der neuen Geräte wieder verschlechtert. Für das Lebensende der Anlage – insbesondere ab Jahr 25 – kalkulieren wir mit einem zusätzlichen Abschlag von 0,5 Prozent, um generelle Ausfälle wie Erdschlüsse, defekte Module oder Sicherungen realistisch abzubilden. Auch wenn es hier keine umfangreiche Datenbasis gibt, entsprechen diese Annahmen der gängigen Betriebserfahrung alternder Solarparks.
Fazit: Bessere Prognosen durch realistische Annahmen
Wer realistische Annahmen zu Degradation und Nichtverfügbarkeit trifft, kann die Energieerträge über die Projektlaufzeit deutlich präziser prognostizieren. Die Anwendung der Degradation auf der DC-Seite führt – insbesondere bei Systemen mit DC/AC-Verhältnis größer 1 – zu spürbar höheren Erträgen im Langzeitmodell. Die Berücksichtigung einer jährlich angepassten Verfügbarkeit verbessert zudem die Genauigkeit der einzelnen Jahreswerte.
Die Zeiten, in denen das Finanzteam allein über Energiekennzahlen entschied, sollten vorbei sein. Die realitätsnahe Modellierung von Degradation und Verfügbarkeit über 25+ Jahre ist zwar komplex – aber notwendig. Wir bieten mit dem Lifetime Energy Model ein Werkzeug, das genau diese Komplexität abbildet. Neben korrekter Degradation und Nichtverfügbarkeit ist auch das Schaltjahr berücksichtigt. In Summe ergibt sich damit ein Ertragsvorteil von bis zu einem Prozent gegenüber dem Standardmodell – bei gleichzeitig höherer Genauigkeit, verbesserten Finanzkennzahlen und realistischeren Erwartungen an die Projektleistung.
Langfristig bleibt die laufende Datenerhebung und branchenweite Zusammenarbeit entscheidend, um Verfügbarkeitsannahmen weiter zu verfeinern. Ingenieure spielen dabei eine Schlüsselrolle – als Garant für fundierte, nachvollziehbare Energieprognosen im Solarsektor.
—Der Autor Rocco Fucetola ist Leiter Operatives Geschäft bei Solesca. Solesca entwickelt Pre-CAD-Software für gewerbliche Dachanlagen sowie Freiflächenanlagen. Das Unternehmen hat bereits bei der Bewertung von über 100 Gigawatt an Solarprojekten unterstützt. —
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