Die Ampel-Regierung hatte alles vorbereitet: Der Entwurf zur Novellierung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes – KSpG von 2012 lag verabschiedungsreif vor. Damit sollte die Hochskalierung der CO2-Verpressung auf industrielles Niveau ermöglicht und angeregt werden. Die im derzeit noch gültigen KSpG verlangten Vorstufen „Erprobung und Demonstration“ (§ 1) sollten übersprungen werden. Mit dem Forschungsprojekt im brandenburgischen Ketzin, bei dem einmalig 67.000 Tonnen CO2 in eine Tiefe von etwas über 600 Metern gepresst wurden, seien gleichzeitig auch Erprobung sowie die jährliche Verpressung von Millionen Tonnen erfolgreich demonstriert worden, behauptete die Bundesregierung in ihren „Eckpunkten für eine Carbon Management-Strategie“.  Sie setzte alles daran, die Novellierung noch vom alten Bundestag beschließen zu lassen.
Dies scheiterte, da die öffentliche Information und Diskussion auch in die Bundestagsfraktionen von Grünen und SPD wirkte: Bei CCS handelt es sich nicht um eine Klimaschutzmaßnahme (auch im KSpG wird der Klimaschutz nicht als Gesetzeszweck aufgeführt), sondern um den Versuch, dem Geschäftsmodell der fossilen Energiewirtschaft durch Grünbemäntelung Akzeptanz für eine lange Zukunft zu verschaffen.
Novellierung des CCS-Gesetzes verzögert sich
Die neue schwarz-rote Regierung ging davon aus, das nicht Gelungene in Kürze nachholen zu können und räumte der Novellierung des CCS-Gesetzes im Koalitionsvertrag eine hohe Dringlichkeit ein. Das „Handelsblatt“ titelte Anfang Juni denn auch: „Industrie könnte laut Geheimpapier bald CO2-Speicherung anwenden.“ Im zugehörigen Artikel erfährt man jedoch, dass das interne Papier zwar den Begriff „Eilverfahren“ verwendet, mit einem pozenziellen Inkrafttreten der Novellierung aber frühestens im November 2025 rechnet. Ein solcher Zeitbedarf entspricht nicht unbedingt dem, was man unter „Eile“ versteht!
Direct Air Capture: Ziele extrem verfehlt
Und dafür gibt es Gründe: Die Verpressung von CO2 aus Industrie und Kraftwerken soll bekanntlich nur die Vorstufe für eine weltumfassende Entnahme und Entsorgung des CO2 aus der Atmosphäre (Direct Air Capture – DAC) sein. Die Firma Climeworks erprobt dies seit einigen Jahren mit zwei Anlagen auf Island. Betreiber und Befürworter setzten darauf große Hoffnungen.
Mitte Mai wurde nun bekannt, dass das Projekt seine Ziele extrem verfehlt. Nicht einmal die durch den Betrieb emittierte CO2-Menge konnte durch Entnahme aus der Luft ausgeglichen werden. Der CO2-Gehalt der Luft wurde durch die Aktivitäten also nicht reduziert, sondern erhöht.
Die isländische Wochenzeitung „Heimildin“ recherchierte und berichtete ausführlich. Auch das „Schweizer Radio und Fernsehen“ (SRF) griff die Sache auf: „CO₂-Entfernung aus der Luft – Climeworks: Gefeiertes Start-up steht vor Massenentlassung“. Linkedin brachte einen                                                „Faktencheck“ zum „Heimildin“-Bericht, konnte die dort vorgetragenen Tatsachen im Wesentlichen aber nur bestätigen. „Der Spiegel“ schrieb: „CO2-Entfernungstechnik DAC in der Vertrauenskrise“. Tatsächlich verstärken die Nachrichten aus Island das Misstrauen gegenüber allem, was mit CCS zu tun hat.
Geologe Krupp: „CCS ist eine neue Gefahr für das Klima“
Dass angebliche Entsorgungsmaßnahmen per CCS den CO2-Gehalt der Luft unter dem Strich nicht nur nicht vermindern, sondern sogar erhöhen, wird auch aus anderen Zusammenhängen gemeldet. Anfang Mai erschien eine von Greenpeace beauftragte Studie mit dem Titel „Speichervolumen von CO2-Endlagern in der Nordsee stark überschätzt“. Hierin macht der Verfasser, der Geologe Ralf Krupp, darauf aufmerksam, dass man bei „CO2-Speichern“ Undichtigkeiten nicht nur befürchten muss, sondern dass diese notwendige Voraussetzung dafür sind, dass die Injektion von CO2 in saline Aquifere (vorherrschende geologische Formation unter der Nordsee) überhaupt machbar ist: „Bei der Einspeicherung größerer Mengen CO2 in einen Aquifer findet zur Raumschaffung am Speicherort immer eine (mindestens) volumengleiche Verdrängung des ursprünglichen Porenfluids durch das CO2 -Fluid statt. Gäbe es keine Wege, über welche das ursprüngliche Formationswasser, oder bei fortgesetzter Verpressung das CO2-Fluid selbst entweichen könnten, würde sich wegen der nur geringen Kompressibilität des Formationswassers und des Porenspeichers in kurzer Zeit ein hoher Druck aufbauen, der letztendlich in einer hydraulischen Rissbildung enden würde.“
Da die Porenfluide neben sonstigen stark umweltschädlichen Stoffen meist Methan enthalten, gelangt auch dieses Gas durch Verdrängung zunächst ins Meerwasser und letztlich teilweise in die Atmosphäre. Methan hat nach 20-jähriger Freisetzung die 86fache und nach 100 Jahren noch die 34-fache Treibhauswirkung von CO2. Krupp setzt sogar etwas geringere Werte an, nämlich 72-fache beziehungsweise 25-fache Treibhauswirkung und folgert: „So wird bei CCS verpresstes Kohlendioxid im Idealfall gespeichert, aber gleichzeitig wird zusammen mit dem verdrängten Formationswasser das natürlich vorhandene Methan mit der 25-fachen (GWP 100 ), bzw. 72-fachen (GWP 20) Treibhauswirkung gegenüber CO2 ebenfalls verdrängt. Ab einem Verhältnis von eingespeichertem CO2 zu verdrängtem Methan von 1:25 (4 Prozent) bzw. 1:72 (1,4 Prozent) wird die Klimaschädlichkeit daher allein durch diesen Verdrängungseffekt zunehmen.“
So sieht also die Wahrheit aus gegenüber der von der Bundesregierung verbreiteten Behauptung: „Geeignete geologische Speicher sind zum Beispiel ausgeförderte Öl- oder Erdgaslagerstätten und Salzwasser führende Gesteinsschichten (sog. salinare Aquifere). In diese Speicher können große CO₂-Mengen injiziert und sicher über geologische Zeiträume gespeichert werden.“
Statt falschen Behauptungen hin zu sachbezogenem logischem Denken
In der klaren, wissenschaftlichen Logik Krupps bewegt sich auch der Chemiker und vielseitige Unternehmer Bernhard Weßling. Er beschäftigt sich neben CCS besonders auch mit DAC. Sein Denkansatz: Um den derzeitigen (viel zu hohen) CO2-Gehalt auch nur zu stabilisieren, müsste täglich der CO2-Neueintrag in Höhe von 1.033 Milliarden Barrel herausgefiltert und entsorgt werden. Der Energieaufwand, der hierzu nötig wäre, würde etwa 66 Prozent der weltweiten für das Jahr 2030 prognostizierten Gesamtstromerzeugung erfordern. Für die zu bewegenden Volumina müsste eine Industrie mit dem 10- bis 20-fachen Umfang der heutigen globalen Öl-Infrastruktur aufgebaut werden.
Betrachtet man CCU und will 10 Prozent des eingefangenen CO2 etwa für die Herstellung alternativer Kraftstoffe nutzen, müsste man hierfür 55 Prozent der weltweit für 2030 prognostizierten Stromproduktion einsetzen. Im Kapitel 7 der Neuauflage seines Buches „Was für ein Zufall! – Zum Ursprung von Unvorhersehbarkeit, Komplexität, Krisen und Zeit“ (SpringerNature, März 2025) beschreibt und berechnet er diese Zusammenhänge im Detail. Seine Herangehensweise basiert auf der Thermodynamik. Für die Schadwirkung von Maßnahmen wird der Begriff „Entropie“ verwendet. Fazit bezüglich der Rückholung von CO2 aus der Luft: Einer eventuellen Verbesserung der Situation in der Atmosphäre stünde durch Energiebedarf, Materialaufwand, Landverbrauch und viele weitere Kollateralschäden eine Entropie gegenüber, die den Umfang der Verbesserung in gigantischem Ausmaß übersteigt.
Weßling bleibt bei der Kritik der Bemühungen, mit technischen Mitteln das Klima zu sanieren, nicht stehen. Die Alternative stellt er im Kapitel 8 dar. Es ist überschrieben „Was können wirtun – und was die Natur?“ Hierin wird dargelegt, dass nur natürliche Prozesse die Chance enthalten, dem Klimawandel entgegenzuwirken: die Photosynthese, sowie Aktivitäten von tierischem und pflanzlichem Leben in Mooren, Feuchtgebieten und gesunden Böden, wie sie durch biologische Landwirtschaft gefördert werden. Auch im Wald ist der Boden von großer Bedeutung, indem sein Potential der Kohlenstoffspeicherung das der Bäume übertrifft.
Auch höher entwickeltes tierisches Leben in Wald und Flur nimmt wichtige Funktionen wahr. Weßling hebt immer wieder hervor, dass Klimaschutz und Biodiversität nicht nur gleich wichtig sind, sondern sich gegenseitig bedingen: ohne Biodiversität kann es keinen Klimaschutz geben und umgekehrt.
Aus Weßlings Ansatz geht hervor: Statt wahnwitzige Technologien auszutüfteln, die alles nur noch schlimmer machen würden, steht die Menschheit vor der Aufgabe, ihre Daseinsweise derart umzugestalten, dass die sanierenden Kräfte der Natur den Raum erhalten, den sie benötigen, um wirken zu können.
Gibt es Widersprüche innerhalb des CCS-Lagers?
Dass die CCS-Einführung nicht in dem Tempo vorankommt, wie regierungsseitig zunächst gedacht, könnte zusätzlich zur grundsätzlichen Verfehltheit des Ansatzes weitere – gewissermaßen „interne“ – Ursachen haben: Die EU-Kommission hat am 22. Mai beschlossen, dass 44                             Unternehmen, die für 95 Prozent der Erdgas- und Erdölförderung in der EU zuständig sind, sich am Aufbau von CCS-Strukturen beteiligen und entsprechende Pläne zeitnah vorlegen sollen. Wie der „Tagesspiegel“ berichtete, war die einschlägige Industrie davon gar nicht begeistert.
Eigentlich erstaunlich, denn sie ist ja der Auslöser und angedachte Nutznießer der CCS-Vorhaben! Doch Exxon Mobile äußerte sinngemäß: statt potentielle Investoren durch Pflichten abzuschrecken, solle die EU lieber für ein Finanzklima sorgen, in welchem sich Investitionen lohnen. Außerdem seien die zeitlichen Vorstellungen der EU illusorisch. Mindestens sieben bis zehn Jahre brauche es, um einen Speicherstandort zu entwickeln.
Kommen hier Widersprüche innerhalb des CCS-Lagers zum Vorschein? Die Gas- und Ölkonzerne bezwecken mit dem CCS zusätzlich zur Grünbemäntelung ihres Geschäftes eine neue profitable Branche. Als „Entwicklung einer leistungsfähigen CO₂-Wertschöpfungskette in Deutschland“ definiert etwa die „Deutsche Carbon Management Initiative (DCMI)“ ihre Aufgabe. Wer das anstrebt, will CO2 nicht abschaffen, sondern braucht im Gegenteil Quellen, aus denen es zuverlässig strömt, so dass mit Auffangen, Transportieren und Verpressen besagte Wertschöpfung bewerkstelligt werden kann.
Wie aber soll der Wert realisiert werden? CCS an Kraftwerken würde die Stromkosten in etwa verdoppeln. Wenn das an die Kunden weitergegeben würde, kann man sich die Wirkung unschwer vorstellen: Die erneuerbaren Energien wären im Handumdrehen auf 100 Prozent. Das wollen die Konzerne natürlich nicht. Die Staaten müssten also die Verteuerung durch permanente Subventionen komplett auffangen. Ob das aber deren Wohlwollen gegenüber den Fossil-Konzernen nicht doch überfordern würde? Wirkt diese Problematik möglicherweise bremsend auf die CCS-Vorhaben und eben auch auf die Novellierung des CCS-Gesetzes?
Beim sogenannten „Industrie-CCS“ haben wir natürlich die gleiche Problematik: Wer trägt die Verteuerung der Produkte, die durch CCS bewirkt wird? Denjenigen, die den Behauptungen noch vertrauen, dass CCS vorrangig für „unvermeidbare“ industrielle Emissionen eingesetzt werde, sollte möglichst Folgendes klar werden: Je geringer die CO2-Mengen sind, mit denen eine CCS-Struktur betrieben wird, umso teurer werden die spezifischen Kosten. Selbst bei Vollauslastung sind die Kosten problematisch hoch. Bei geringer Auslastung steigen sie in einen absurden Bereich. Die Behauptung, CCS dauerhaft auf wenige Industriebranchen beschränken zu wollen, ist daher nichts weiter als ein Trick, den Fuß in die Tür zu bekommen. Bald würde die Botschaft folgen, dass zwecks Verbesserung der Wirtschaftlichkeit die Kraftwerksbranche einbezogen werden muss.
Schlüssel zur Problemlösung in unserer Hand
Die Situation ist verworren und im Detail schwer zu durchschauen. In das Nachgrübeln über Eventualitäten sollte man nicht zu viel Zeit und Kraft investieren. Besser ist allemal – sofern noch nicht geschehen – schnellstens auf erneuerbare Energien umzusteigen und bei der persönlichen Lebensgestaltung sich daran zu erinnern, dass auch wir Hervorbringungen der Natur sind und durch ein gesundes Verhältnis zu unseren Wurzeln unserem Leben eine Wohltat erweisen.
— Der Autor Christfried Lenz, politisiert durch die 68er Studentenbewegung, Promotion in Musikwissenschaft, ehemals Organist, Rundfunkautor, Kraftfahrer und Personalratsvorsitzender am Stadtreinigungsamt Mannheim, Buchautor. Erfolgreich gegen CCS mit der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“, nach Zielerreichung in „Saubere Umwelt & Energie Altmark“ umbenannt und für Sanierung der Erdgas-Hinterlassenschaften, gegen neue Bohrungen und für die Energiewende aktiv (https://bi-altmark.sunject.com/). Mitglied des Gründungsvorstands der BürgerEnergieAltmark eG (http://www.buerger-energie-altmark.de/). Bis September 2022 stellvertretender Sprecher des „Rates für Bürgerenergie“ und Mitglied des Aufsichtsrates im Bündnis Bürgerenergie (BBEn). Seit 2013 100-prozentige Strom-Selbstversorgung durch Photovoltaik-Inselanlage mit 3 Kilowattpeak und Kleinwindrad. —
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